Die Challenge
Mit nur vierundzwanzig Jahren wurde Johann Wolfgang von Goethe mit den „Leiden des jungen Werthers“ 1774 europaweit berühmt. Nur wenige Jahre später begannen Bildhauer Büsten des Schriftstellers anzufertigen – in späterer Zeit auch Christian Daniel Rauch und Christian Friedrich Tieck. Im Rahmen eines freundschaftlichen Wettstreits arbeiteten sie 1820 parallel an einer Goethe-Büste. Dafür durften die beiden Goethe in Jena besuchen, wo sie jeweiWeiterlesen
Die Challenge
Mit nur vierundzwanzig Jahren wurde Johann Wolfgang von Goethe mit den „Leiden des jungen Werthers“ 1774 europaweit berühmt. Nur wenige Jahre später begannen Bildhauer Büsten des Schriftstellers anzufertigen – in späterer Zeit auch Christian Daniel Rauch und Christian Friedrich Tieck. Im Rahmen eines freundschaftlichen Wettstreits arbeiteten sie 1820 parallel an einer Goethe-Büste. Dafür durften die beiden Goethe in Jena besuchen, wo sie jeweils einen Abdruck einer bereits 1807 abgenommenen Lebendmaske Goethes sowie Modelle aus Ton herstellten. Die Gipsfassung – heute im Besitz des GNM – entstand wohl im nächsten Arbeitsschritt. Sie befand sich ursprünglich in Rauchs Berliner Werkstatt und diente vermutlich als Vorlage für die eigentliche Marmorbüste.
Unikat und Masse
Diese Gipsbüste war nicht das fertige Kunstwerk Rauchs, sondern lediglich ein Werkstattzwischenschritt. Die glatte Lackoberfläche ermöglichte Abgüsse mit weichen Massen wie Gips. Punkte, Kreise und Löcher weisen zudem auf eine Vervielfältigung mittels Punktiergerät in Stein oder Marmor hin. Jedes Exemplar wurde per Hand und teilweise mit unterschiedlichen Techniken angefertigt, wodurch Übertragungsfehler und individuelle Merkmale entstanden. Obwohl es eine Vielzahl dieser Repliken gibt, ist doch jede ein Unikat.
„Dichtung und Wahrheit“
Unter den zahlreichen Goethe-Bildnissen und Denkmälern erlangte die Büste von Rauch eine dauerhafte Wertschätzung. Er wählte für seine Goethe-Büste die antike Darstellungsform der Herme, ein Kopfbildnis auf einer rechteckigen, pfeilerartigen Basis. Klassisch antike und idealisierende Merkmale wie das volle und lockige Haar, die stark ausgeprägte Stirn sowie der muskulöse nackte Oberkörper – Goethe war zum Zeitpunkt der Entstehung bereits 70 Jahre alt – werden mit realistischen, lebensnahen Darstellungen von Augen, Nase und Mund verbunden. Eine Darstellungsform, die nicht nur beim antikebegeisterten Goethe höchstpersönlich für Wohlgefallen sorgte. So entstanden aufgrund der hohen Nachfrage zahlreiche Repliken dieser Büste in Gips oder Marmor, die heute in verschiedenen Museen zu sehen sind, auch im GNM.