Titel
Maria mit Kind und Papageien
Allgemeine Bezeichnung
Gemälde, Andachtsbild
Inventarnummer
Gm1170
Sammlung
Gemälde bis 1800
Anzahl der Teile
1
Hersteller
Baldung, Hans, gen. Grien (1484/85-1545)
Herstellungsdatum
1533
Herstellungsort
Standort
Dauerausstellung Renaissance, Barock, Aufklärung
Maße
H. 91,5 cm; B. 63,3 cm
Material und Technik
Malerei auf Lindenholz (Tilia sp.)
Zustandsbeschreibung
siehe Anna Bartl. In: Kurt Löcher: Die Gemälde des 16. Jahrhunderts. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg. Stuttgart 1997, S. 60.
Beschreibung
Das ungewöhnliche Bild der stillenden Madonna besticht durch eine gesuchte Künstlichkeit und naturferne Stilisierung. Irritierend sind die heftigen Spannungen in Beleuchtung und Farbigkeit, aber auch der exotisch-luxuriöse Akzent und der hohe sinnliche Reiz. Durch gewagte Motive, wie den Biss des Papageien und die Berührung der Brust durch die gespitzten Lippen des Knaben, hat Baldung seiner Darstellung sinnliche Werte verliehen, die über den durch die Malerei angesprochenen Sehsinn hinausführen. So pickt der in der traditionellen Marienikonographie als ungelernt „Ave“ sagender Vogel und durch sein nicht nass werdendes Gefieder die Jungfräulichkeit Marias verkörpernde Papagei Maria in den Hals, während der angespannt zum Betrachter blickende, nimbierte Christusknabe gerade die Brustspitze freigibt. Mit verschmitzter Miene hantiert derweil ein schwebender Engel am transparenten Marienschleier, wobei unklar bleibt, ob er das Marienhaupt entschleiert oder verhüllt. Dem Bild haftet etwas rätselhaft Geheimnisvolles an, das sich einer schlüssigen Deutung entzieht.
So neuartig und ungewöhnlich das Andachtsbild erscheint, knüpfte Baldung bewusst an ältere Bildtraditionen an und variierte geläufige Darstellungsmuster, ikonographische Motive und Requisiten. Mit dem Bild der stillenden Muttergottes bezog er sich auf ein im Mittelalter überaus beliebtes Andachtsbild, in dem Marias mütterliche Hingabe, ihre lebensspendende Kraft und ihre Rolle als Garantin von Gnade und Barmherzigkeit in der Fürbitte für die sündige Menschheit am eindringlichsten zum Ausdruck kam. Inwieweit Baldungs subjektiv verfremdete Interpretation auf die Wünsche eines elitären Auftraggebers zurückzuführen ist, darüber kann in Ermangelung schriftlicher Zeugnisse nur spekuliert werden.
Baldung malte das Bild 1533 in Straßburg, das bereits zwei Jahrzehnte vor dem Übertritt zur Reformation im Jahr 1524 als ein Zentrum der evangelischen Bewegung galt. In den Jahren 1526-1530 hatten sich die Verhältnisse verschärft: Die Messe wurde abgeschafft und die Bilder wurden vollständig entfernt, nachdem sich der Bildersturm bislang nur auf die schändlichen Bilder bezogen hatte. Die Darstellung der stillenden Maria war vor diesem Hintergrund insofern brisant, als gerade dieses Motiv als eines der verwerflichsten galt. In Straßburg haben Marienbilder, wie Baldungs Nürnberger Gemälde, Anstoß erweckt: So wurden 1541 Kunstverständige in die Werkstatt des Straßburger Malers Jost Krieg von Barr zur Begutachtung seiner Bilder geschickt. Sollten seine Marienbilder „schandtlich und entblößt gemalet“ sein, solle man ihm dies untersagen (Rott 1936, S. 227). Es stellt sich deshalb die Frage, ob Baldungs nachreformatorische Madonnenbilder nicht als Versuch zu werten sind, ein in die reformatorische Kritik geratenes, in der Tradition jedoch zentrales Bildthema dadurch zu retten, indem er es zur Kunst erhob? Die gesuchte Künstlichkeit scheint dies nahe zu legen, auch wenn sich eine solche Deutung durch historische Quellen nicht belegen lässt. Es ist folglich zu überlegen, ob Baldung mit solchen Werken nicht vielmehr einen exklusiven Kreis von Altgläubigen bediente. Als Spross einer Gelehrtenfamilie mit einflussreichen verwandtschaftlichen Kontakten zum habsburgischen Hof und zur Universität des katholisch gebliebenen Freiburg hatte er sich offenbar einen Kundenstamm erschlossen, den er auch nach der Reformation weiter belieferte.
Nach Weber am Bach 2006 ist alternativ zu überlegen, ob die im Gemälde akzentuierte Fleischlichkeit auf die Straßburger Synode gegen die Täufer im Jahr 1533 zurückzuführen ist: Das Gemälde würde demnach die von den Täufern angezweifelte "Zwei-Naturen-Lehre" Christi und die Mutterschaft Mariens bekräftigen und in ein entsprechendes Andachtsbild übersetzen, das sowohl neu- wie altgläubige Kunstliebhaber anzusprechen vermochte. Baldungs Gemälde wäre demnach ein gemaltes theologisches Bekenntnis zur wahren Mutterschaft Mariens.
Wer auch immer zu den Auftraggebern und Käufern solcher eigenwilliger Werke zählte, Baldungs Klientel hatte offenbar ein besonderes Flair für die gewagten und hintersinnigen Meisterwerke des berühmten Straßburger Malers.
Vitrinentext
Baldungs Version des traditionellen Motivs der »Stillenden Maria« changiert gewagt zwischen religiösem Bekenntnisbild und sinnlich-erotischer Darstellung. Im demonstrativen Halten der Brustwarze wird die Menschwerdung Christi betont, die 1533 auf der Straßburger Synode zentrales Thema war. Die makellose Schönheit und die Handhaltung Marias spielt andererseits auf Bilder der Venus an. Das Gemälde erhält damit eine für Baldung typische Mehrdeutigkeit, die der gelehrte Kunstkenner zu schätzen wusste.
Madonna with Child and Parrots. Painting on limewood. Baldung's version of the traditional motif of the "Madonna Suckling the Infant Jesus" moves daringly between the religious devotional picture and a depiction that is sensual and erotic. Christ's incarnation, a central topic at the Strasbourg Synod in 1533, is emphasized in his demonstrative suckling on her nipple. Mary's flawless beauty and her hand gesture, however, also allude to pictures of Venus. The painting thus reflects Baldung's typical ambiguity, which was held in high esteem by scholarly art connoisseurs.
Madonna with Child and Parrots. Painting on limewood. Baldung's version of the traditional motif of the "Madonna Suckling the Infant Jesus" moves daringly between the religious devotional picture and a depiction that is sensual and erotic. Christ's incarnation, a central topic at the Strasbourg Synod in 1533, is emphasized in his demonstrative suckling on her nipple. Mary's flawless beauty and her hand gesture, however, also allude to pictures of Venus. The painting thus reflects Baldung's typical ambiguity, which was held in high esteem by scholarly art connoisseurs.
Literatur
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Friedländer 1924/25, S.74.
Baldass, Ludwig von: Der Stilwandel im Werke Hans Baldungs. In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, N.F. Bd. 3, 1926, S .27, Abb. 12.
1927/28, S.99, Abb.
Neuerwerbungen des Germanischen Museums 1925/29, Taf. 28.
Baldung Hugelshofer, Walter: Nachträge zu Baldung. In: Oberrheinische Kunst. Jahrbuch der oberrheinischen Museen, Jg. 5, 1932, S. 200, 204.
Lutze,Eberhard/Wiegand, Eberhard: Kataloge des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg: Die Gemälde des 13. bis 16. Jahrhunderts. Text- und Bildband. Leipzig 1937, S. 20, Abb. 240.
Fischer, Otto: Hans Baldung Grien. München 1939, S. 52, Abb. 34.
Koch, Carl: Die Zeichnung Hans Baldung Griens. Berlin 1941, S. 37, 47 und bei Nr. 128.
Möhle, Hans: Carl Koch. Die Zeichnungen Hans Baldung Griens (Besprechung). In: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Bd. 10, 1941/42, S. 216.
Meisterwerke altdeutscher Malerei. Museum zu Allerheiligen. Schaffhausen 1947, Nr. 13.
Martin, Kurt: Skizzenbuch des Hans Baldung Grien >Karlsruher Skizzenbuch<. Basel 1950, S. 40--41.
Koch, Carl: Über drei Bildnisse Baldungs als künstlerische Dokumente vor Beginn seines Spätstils. In: Zeitschrift für Kunstwissenschaft, Bd. 5, Heft 1--2, 1951, S. 70.
Koch 1952(??)
Koch, Carl: Katalog der erhaltenen Gemälde, der Einblattholzschnitte und illustrierten Bücher von Hans Baldung-Grien (Besprechung).In: Kunstchronik. Jg. 6, Heft 11, 1953, S. 298.
Hans Baldung Grien. Staatliche Kunsthalle. Karlsruhe 1959, Nr. 51, Abb. 21.
Ruhmer, Eberhard: Mitteldeutsche Werke des Hans Baldung Grien. In: Die Kunst und das schöne Heim, Jg. 58, 1960, Abb. S. 85 .
Rieth, Adolf: Papageiendarstellungen in der mittelalterlichen Kunst Südwestdeutschlands. In: Nachrichtenblatt der Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Jg. 6, Heft 1, 1963, S. 53.
Strieder, Peter: Gotik/Renaissance. In: Deutsche Malerei. Germanisches Nationalmuseum, Bd. 1. Nürnberg 1964, Nr. 20.
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Olbrich, Harald: Hans Baldung Grien in der Krise seiner Zeit. In: Lucas Cranach. Künstler und Gesellschaft. Referate des Colloquiums mit internationaler Beteiligung zum 500. Geburtstag Lucas Cranach d.Ä. Wittenberg 1972, S. 159.
Germanisches Nationalmuseum. Führer durch die Sammlungen. München 1977, Nr. 251, Farbabb.; 3. überarb. Aufl. München 1885, Nr. 246, Farbabb.
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Ingrid Alexander-Skipnes: Translating the Northern Model: Adam and Eve in Paradise attributetd to Master HL. In: The Sides of the North. An Anthology in Honor of Professor Yona Pinson (Tamar Cholcman/Assaf Pintus Ed.). Cambridge 2015, S. 133-153, bes. S. 150, Fig. 5.
AK Hans Baldung Grien. heilig / unheilig. Hg. von Holger Jacob-Friesen. Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 30.11.2019-8.3.2020. Berlin / München 2019, Kat.-Nr. 235, S. 446-447 (Sibylle Weber am Bach).
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