Blind gezeichnet?
Wie kommt ein deutscher Künstler des 16. Jahrhunderts dazu, ein Rhinozeros darzustellen? Exotische Tiere wie diese waren auf dem europäischen Kontinent weitgehend unbekannt. Tatsächlich hat Dürer das Nashorn, das er hier so detailgenau wiedergibt, nie selbst gesehen. Dennoch gibt er das Tier sehr lebensnah wieder. Der masMehr

Blind gezeichnet?
Wie kommt ein deutscher Künstler des 16. Jahrhunderts dazu, ein Rhinozeros darzustellen? Exotische Tiere wie diese waren auf dem europäischen Kontinent weitgehend unbekannt. Tatsächlich hat Dürer das Nashorn, das er hier so detailgenau wiedergibt, nie selbst gesehen. Dennoch gibt er das Tier sehr lebensnah wieder. Der massige Körper ist über den kurzen, reptilienartigen Beinen mit einem wehrhaften Panzer geschützt. Buckel, Grate und warzenartige Erhebungen geben ihm Struktur. Mit einem Muster aus feinen Linien hält Dürer jede Erhebung, jede Vertiefung des Kopfes fest. Dazu gehören kleinste Details wie die feinen Haare an Kinn und Ohren, die Schrunden am Maul und die kleinen Zacken um das Horn auf seiner Nase. Woher wusste der Renaissancekünstler so genau, wie ein Nashorn aussieht?

Ein ungewöhnliches Geschenk
Das Panzernashorn, das Dürer so überzeugend darstellt, stammte aus Indien. Dort hatte es der portugiesische Gouverneur als diplomatisches Geschenk erhalten und an seinen König Manuel I. nach Portugal schicken lassen. Als das Tier am 20. Mai 1515 im Hafen von Lissabon eintraf, verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Seit dem dritten Jahrhundert, als römische Herrscher die exotischen Tiere in Wildgehegen hielten, hatte es keine Nashörner mehr in Europa gegeben. Der in Lissabon tätige Buchdrucker, Verleger und Nachrichtenagent Valentin Ferdinand schickte sofort eine Nachricht an die Nürnberger Kaufmannschaft. Seinem ausführlichen Bericht fügte er auch eine heute nicht mehr erhaltene Skizze des Tiers bei. Sie diente Albrecht Dürer in Nürnberg als Vorlage für eine vorbereitende Federzeichnung. Nach ihr schuf er seinen berühmten Holzschnitt.

Sensationslust
Dürer kannte die durch Entdeckungsreisen und den Überseehandel befeuerte Sensationslust seiner Zeitgenossen. Über dem exotischen Tier gab er in der fünfzeiligen Inschrift Passagen aus Ferdinands Bericht wieder. Noch 1515 druckte er in seiner Werkstatt die erste Auflage des Flugblatts, aus der auch dieser Abzug stammt. Andere Künstler brachten eigene Versionen des Nashorns auf den Markt. Keine der Grafiken war so erfolgreich wie die von Dürer. Nach seinem Tod entstanden in den 1540er Jahren und gegen Ende des 16. Jahrhunderts weitere Auflagen. Man erkennt sie an der veränderten sechszeiligen Inschrift. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts prägte Dürers Rhinozeros das Bild, das man hierzulande von diesem exotischen Tier hatte.

Weniger
Titel
Rhinocerus (Das Rhinozeros)
Allgemeine Bezeichnung
Druckgraphik
Inventarnummer
H5582
Sammlung
Druckgraphik-Zeichnungen
Anzahl der Teile
1
Herstellungsort
Nürnberg
Herstellungsdatum
1515
Hersteller
Dürer, Albrecht (Formschneider) GND
Maße
23,7 x 29,9 cm (Blatt)
Material und Technik
Holzschnitt, Typendruck
Beschreibung
Der berühmte Holzschnitt stellt nicht irgendein Nashorn dar, sondern das wohl erste lebende Exemplar in Europa seit der römischen Antike. Das indische Panzernashorn erreichte 1515 auf dem Seeweg den Hafen von Lissabon, als Geschenk für König Manuel I. von Portugal. Eine heute im British Museum bewahrte Zeichnung des Rhinozeros fertigte Dürer nach der Beschreibung eines Augenzeugen. Sie kam vermutlich zusammen mit der Skizze eines unbekannten Künstlers per Brief nach Nürnberg. Auf der Basis seiner eigenen Zeichnung entstand dann der Holzschnitt. Auf dem Holzschnitt ist die Haut des Nashorns wie eine mehrteilige Rüstung dargestellt. Das sogenannte Dürer-Hörnchen unterstreicht den wehrhaften Charakter des Tiers, das – laut Text über dem Bild – der Todfeind des Elefanten sei. Zudem zeigt es auf den Titel und das Monogramm des Nürnberger Meisters.
Vermerk am Objekt
Inschrift: oben: Nach Christus gepurt. 1513. Jar. Adi. i. May. Hat man dem großmechtigen Kunig von Portugall Emanuell gen Lysabona pracht auß India, ein sollich lebendig Thier. Das nennen sie / Rhinocerus. Das ist hye mit aller seiner gestalt Abcondertfet. Es hat ein farb wie ein gespreckelte Schildtkrot. Vnd ist vo[n] dicken schalen vberlegt fast fest. Vnd ist in der größ als der Helfandt / Aber nydertrechtiger von paynen, vnd fast wehrhafftig. Es hat ein scharff starck Horn vorn auff der nasen. Das begyndt es albeg zu wetzen wo es bey staynen ist. Das dosig Thier ist des Helffantz todt feyndt. Der Helffandt furcht es fast vbel, dann wo es In ankumbt, so laufft Im das Thier mit dem kopff zwischen dye fordern payn, vnd reyst den Helffandt vnden am pauch auff / vn[d] erwürgt In, des mag er sich nit erwern. Dann das Thier ist also gewapent, das Im der Helffandt nichts kan thun. Sie sagen auch das der Rhynocerus Schnell, fraydig vnd Listig sey.
oben rechts im Bild: 1515 / RHINOCERVS / AD [Dürermonogramm]

Literatur
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