Wer schön sein will, muss leiden
Die Trägerin dieses Reifrocks hatte es nicht leicht, wenn sie durch Türen gehen oder in einer Kutsche sitzen wollte. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit wurde jedoch durch ein imposantes und standesgemäßes Auftreten kompensiert. Reifröcke betonten die Hüften ihrer Trägerin auf übertriebene Weise und ließen dadurch die Weiterlesen

Wer schön sein will, muss leiden
Die Trägerin dieses Reifrocks hatte es nicht leicht, wenn sie durch Türen gehen oder in einer Kutsche sitzen wollte. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit wurde jedoch durch ein imposantes und standesgemäßes Auftreten kompensiert. Reifröcke betonten die Hüften ihrer Trägerin auf übertriebene Weise und ließen dadurch die geschnürte Taille noch schmaler erscheinen. Außerdem versteckten sie den Unterkörper, was den Sittenvorstellungen des 18. Jahrhunderts entsprach. Die Damenmode musste damals fast bodenlang sein. Nur im Bereich des Dekolletés zeigten die Damen abends Haut.

Nachhaltigkeit? Fehlanzeige!
Das Gestell dieses Reifrocks besteht aus Fischbein, welches mit Leinenstoff überzogen wurde. Da die vertikalen Verbindungen aus Bändern bestehen, konnte man den Reifrock flach zusammenlegen. Korrekterweise würde man Fischbein heute als Walbarten bezeichnen. Große Wale filtrieren mit ihnen Kleinstlebewesen aus dem Wasser, um sie zu verspeisen. Das Material ist gleichzeitig hart und biegsam. Man kann es durch Erhitzung verformen sowie in schmale Streifen spalten. Es kam neben Reifröcken auch bei Schnürmiedern zum Einsatz. Die massenhafte Verwendung befeuerte die Waljagd und war einer der Gründe, weshalb Bartenwale fast ausgerottet wurden. Erst die Erfindung von Stahl- und Kunststoffgestellen sowie das Ende der Reifrockmode verringerte die Nachfrage nach Fischbein.

Mode und Tugend
Voluminöse Röcke waren schon seit dem späten 15. Jahrhundert in Mode. Jedoch waren sie anfangs kegelförmig. Sie nahmen ihren Ursprung in Spanien, wo man sie verdugado nannte, was bisweilen mit „Tugendhüter“ übersetzt wurde. Der Name kommt jedoch eigentlich von verdugo, spanisch für Scharfrichter sowie „grünes Holz“ (Schössling), das Konstruktionsmaterial des Unterrocks. Die Form näherte sich mit der Zeit der Ellipse an. Das erleichterte den Trägerinnen das Niedersetzen ein wenig. Schon im 18. Jahrhundert wurde behauptet, der Reifrock sei erfunden worden, um eine ungewollte Schwangerschaft zu verstecken.
 

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Titel
Großer Reifrock mit Bändern
Allgemeine Bezeichnung
Unterkleidung (Damen)
Inventarnummer
T901
Sammlung
Textilien-Schmuck
Anzahl der Teile
1
Herstellungsdatum
um 1760
Maße
VL 68,6 cm, RL 70,6 cm, Saumumfang: 376 cm
Klassifikation
Unterkleidung
Material und Technik
Leinen, naturfarben; Leinwandbindung; Fischbein; Haken, Ösen: Metall; Leinenbänder
Standort
Dauerausstellung Kleidung ab 1700
Vitrinentext
Großer Reifrock mit Bändern. Um 1760

Leinen, Fischbein

Der damals sogenannte "große Reifrock" war knöchellang. Vier ovale Reifen gaben ihm die Form. Seitlich aufgesetzte Halbreifen betonten zusätzlich die Hüften.

Large hooped petticoat with tapes

Linen, whalebone

Literatur
Ausst. Kat. Mode schauen. Fürstliche Garderobe vom 16. - 18. Jahrhundert. Hg. Veronika Sandbichler, Katja Schmitz-von Ledebur, Stefan Zeisler. Ausst. Innsbruck, Schloss Ambras. Kunsthistorisches Museum Wien, 2021, Kat. 8.12. Link zur Bibliothek
Jutta Zander-Seidel: Kleiderwechsel. Frauen-, Männer- und Kinderkleidung des 18. bis 20. Jahrhunderts (Die Schausammlungen des Germanischen Nationalmuseums, Bd. 1). Nürnberg 2002, S. 46--47, Abb. 33. Link zur Bibliothek

Sie finden das Objekt in der Dauerausstellung mit der Nummer 6: Dauerausstellung Kleidung ab 1700

Frauenkleidung
Women's Clothing