Unter Bauern
Philipp Bauknecht lebte ab 1910 in Davos, wo er auf Linderung seiner Tuberkulose-Erkrankung hoffte. Die Höhenluft galt damals als einziges Heilmittel für die Infektionskrankheit, die sich in den dicht bevölkerten Städten leicht verbreiten konnte. Ab 1920 wohnte Bauknecht in bäuerlichem Umfeld am Rand von Davos Dorf. In seinen Kunstwerken kMehr

Unter Bauern
Philipp Bauknecht lebte ab 1910 in Davos, wo er auf Linderung seiner Tuberkulose-Erkrankung hoffte. Die Höhenluft galt damals als einziges Heilmittel für die Infektionskrankheit, die sich in den dicht bevölkerten Städten leicht verbreiten konnte. Ab 1920 wohnte Bauknecht in bäuerlichem Umfeld am Rand von Davos Dorf. In seinen Kunstwerken kann man erkennen, dass ihn seine eigene Situation bedrückte. Auf dem Gemälde Holzhauer im Wald schälen Männer die Rinde von einem Baumstamm. Ihre Körper sind grob geformt und ihre Gesichter wirken wie Masken. Nicht nur hier, sondern auch auf anderen Bildern zeigte Bauknecht die Bauern auf diese rohe Art.

Bedrohliche Natur
Der Wald sieht abweisend aus, weil Bauknecht die Natur mit grellen Farben malte. Fast könnte man von Warnfarben sprechen. Der Boden richtet sich auf, als ob er aus scharfkantigen Schuppen bestünde. Die bereits abgelängten Baumstämme sind gelb und zerteilen das Bild in zwei ungleiche Hälften. Während Ernst Ludwig Kirchner, der ebenfalls in Davos lebte, das ländliche Leben eher harmonisch idealisierte, wirkt es bei Bauknecht bedrohlich. Er schilderte die Bauern aus kritischer Distanz und stellte sie als derb dar. Im Gegensatz zur kräftigen Bildwirkung steht jedoch der ungewöhnlich dünne Farbauftrag auf der Leinwand. Da Bauknecht arm war, musste er sparsam mit der Farbe umgehen.

Wertschätzung für „primitive“ Kunst
Das Gemälde ist flächig gestaltet und zeigt kaum Tiefenwirkung. Diese Reduktion erinnert an volkstümliche Kunst. Galt sie vorher noch als primitiv und wertlos, so begann im späten 19. Jahrhundert die wissenschaftliche Erforschung sowie die ästhetische Wertschätzung der Volkskunst. Im frühen 20. Jahrhundert war sie eine beliebte Inspirationsquelle – nicht nur für Bauknecht, sondern auch für andere Maler des deutschen Expressionismus. Das Bild Holzhauer im Wald wurde 1927 auf der großen Berliner Kunstausstellung gezeigt. Museen in Münster, Kassel und Stuttgart kauften schon Ende der 1920er Jahre einige seiner Bilder. 1933 verstarb Bauknecht bei einer Operation in Davos. Seine Witwe verbrachte die meisten seiner Werke in die Niederlande. Dort begann auch Bauknechts „Wiederentdeckung“ in den 1960er Jahren.

Weniger
Titel
Holzhauer im Wald (Drei Holzhauer auf Baum)
Allgemeine Bezeichnung
Gemälde
Inventarnummer
Gm2511
Sammlung
Kunst u. Kunsthandwerk 19.-21.Jh.
Anzahl der Teile
1
Herstellungsort
Davos
Herstellungsdatum
vor Mai 1927
Hersteller
Bauknecht, Philipp (deutsch)
Maße
H. 115cm; B. 186 cm
H. 121 cm; B. 192 cm; T. 4cm
Material und Technik
Öl auf Leinwand
Beschreibung
In grell leuchtender Farbigkeit aus überwiegend roten, gelben, grünen, violetten und blauen Akkorden zeigt Philipp Bauknecht als Querformat drei Waldarbeiter, die mit ihren Äxten einen frisch gefällten Baumstamm entrinden. Der rot-schwarz gescheckte Stamm liegt nahezu horizontal auf drei leicht von der mittleren Bildachse nach links verschobenen, senkrecht angeordneten, bereits bearbeiteten leuchtend gelben Stämmen, so dass sich hier die Form eines liegenden Kreuzes ergibt. Wie in den meisten seiner anderen Genredarstellungen, sind auch hier die dargestellten Personen mit ihrer Umgebung verschmolzen, wirken die Holzfäller also als seien sie mit dem Wald verwachsen. Durch die übersteigerte Farbwahl und die kühne Komposition erhält das Gemälde eine sich aus der rein formalen Gestaltung entwickelnde metaphorische Komponente, die nicht zuletzt in die Tradition der deutschen Romantik verweist. Komposition und Tonalität lassen jegliche Raumillusion vermissen, vielmehr betont die Darstellung durch ihre starken Kontraste und die z.T. fast geometrische Anordnung der Bildelemente die Flächenhaftigkeit der gestischen Malerei. Anders als in den parallel entstandenne reinen Landschaftsgemäldne Bauknechts laden die drei verzerrt dargestellten Protagonisten hier das Bild bedrohlich auf. Keine alpenländische Idylle als Vorbild für eine vermeintlich einfache und ursprüngliche Lebensweise, wie dies etwa bei Kirchner oft zu finden ist, wird hier beschworen, sondern die physische wie psychische Bedrohung durch die Davoser Bauern und die Rohheit deren bäuerlichen Alltags. Die Bauern scheinen den Stamm weniger zu entrinden, als zu schlachten. Der Darstellung bäuerlicher Arbeit fehlt jegliche Idealisierung.
Vermerk am Objekt
Inschrift: Holzhauer / im Walde / Bauknecht (Deutsch, Ölfarbe, Titel, Rückseite; oben Mitte, handschriftlich)

29. /
Holzhauer im Walde /
15 x 185 1926-1927 /
Sammlung: Galerie Monet. A'dam /
Ausstellung -- Münster /
September 1963 (Deutsch, Aufkleber)

115 x 185 /
1926-1927 /
Eigentum: Galerie Monet Amsterdam /
Ausstellung 6. Nov. - 31. Dec. 1965 /
Paula Becker-Moderson Haus. Bremen (Aufkleber)

DIE BÖTTCHERSTRASSE /
GmbH /
28 Bremen 1. Postfach 697 /
6.11. - 31.12.65 /
Künstler: Bauknecht /
Holzhauer im Walde /
Inh.: Galerie Monet, Amsterd. /
33 (Aufkleber)

Vitrinentext
Wie Ernst Ludwig Kirchner lebte Philipp Bauknecht in bäuerlichen Verhältnissen. Doch zeigt er seine Umgebung ganz anders. Von den Bauern geht unterschwellige Bedrohung aus. Ihre Tätigkeit erscheint roh und entfaltet beängstigende Wucht. Der Stamm wird mehr geschlachtet als entrindet. Der Darstellung bäuerlicher Arbeit fehlt jede Idealisierung.

Like Ernst Ludwig Kirchner, Philipp Bauknecht lived a rural life, but his works show the environment in a very different light. Beneath the surface, the peasants are threatening; their activity seems brutish and generates frightening momentum. The tree trunk is being butchered rather than stripped, and the depiction of country work lacks any trace of idealization.

Öl auf Leinwand • Oil on canvas.

Gm 2511. Erworben 2020 aus Mitteln des Fördererkreises des Germanischen Nationalmuseums e.V., der Stiftung zur Förderung des Germanischen Nationalmuseums und einer anonymen Stiftung.

Literatur
Gustav Eugen Diehl (Hrsg.): Große Berliner Kunstausstellung 1927. Veranstaltet vom Kartell der vereinigten Verbände bildender Künstler Berlins e.V., Ausst.-Kat. Landesausstellungsgebäude Alt-Moabit 4-10 am Lehrter Bahnhof (7.5. bis 30.9.1927), Berlin (=Veröffentlichungen des Kunstarchivs Nr. 41-42), Katalog-Nr. 28: „Bauknecht, Philipp, Davos, Holzhauer im Walde“, S. 12.
Ausstellung Kunsthaus Schaller, in: Schwäbisches Tageblatt v. 28.7.1928. Link zur Bibliothek
Philipp Bauknecht. Gemälde, Holzschnitte. Ausst.Kat. Kunstschau Böttcherstraße Paula Becker-Modersohn Haus, Bremen 1965, Kat.Nr. 33.
Sylvia Laun: Philipp Bauknecht (1884-1933). Leben und Werk, Phil. Diss. Univ. Mainz (1991), Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris 1992 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 28 Kunstgeschichte, Bd. 139), Link zur Bibliothek
Gioia Smid (Hrsg.): Philipp Bauknecht. Expressionist in Davos, Bussum 2002, S. 68, S. 73 (Abb. 73). Link zur Bibliothek
Philipp Bauknecht 1884-1933. Davoser Bergwelten im Expressionismus, Ausst.Kat. Museum Würth, Künzelsau, Kirchner Museum Davos, Künzelsau 2014, S. 170 f. (Abb.). Link zur Bibliothek
Iris Wazzau, Gioia Smid: Philipp Bauknecht 1884-1933. Verzeichnis der Gemälde, Davos, Künzelsau 2016, S. 238 (Nr. 140), Abb. S. 239. Link zur Bibliothek
Daniel Hess (Hrsg.): Europa auf Kur. Ernst Ludwig Kirchner, Thomas Mann und der Mythos Davos, Ausst.Kat. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Ernst Ludwig Kirchner Museum Davos, Nürnberg 2021, S. 262, S. 280 (Kat.Nr. 116, Abb.). Link zur Bibliothek