Momentaufnahme des Hebammenwesens
Der mit Hebammen-Utensilien gefüllte Koffer gleicht einer Zeitkapsel. Er dokumentiert den Stand der Geburtsmedizin im Winter 1944/45. Seine Besitzerin war die Hebamme Elisabeth Dudek, genannt Elise, die den Koffer im oberschlesischen Gieschewald (pol. Giszowiec) bei Kattowitz einsetzte. Im April 1945 floh Dudek in den Westen, wo siMehr

Momentaufnahme des Hebammenwesens
Der mit Hebammen-Utensilien gefüllte Koffer gleicht einer Zeitkapsel. Er dokumentiert den Stand der Geburtsmedizin im Winter 1944/45. Seine Besitzerin war die Hebamme Elisabeth Dudek, genannt Elise, die den Koffer im oberschlesischen Gieschewald (pol. Giszowiec) bei Kattowitz einsetzte. Im April 1945 floh Dudek in den Westen, wo sie dann in der klinischen Krankenpflege tätig war, allerdings nicht mehr als Hebamme. Im Rentenalter überließ Frau Dudek ihren Koffer dem letzten, 1945 von ihr in Gieschewald zur Welt gebrachten Kind. Von ihm erhielt das GNM den Koffer schließlich als Schenkung.


Geburtshilfe im Wandel der Zeiten
Das Hebammenwesen existiert schon seit Urzeiten, erlebte aber im 19. und 20. Jahrhundert einen enormen Wandel. Universitär ausgebildete Ärzte – damals fast nur Männer – stellten sich hierarchisch über die Hebammen. Das Erfahrungswissen der Hebammen verlor stark an Einfluss (was in jüngster Zeit als Fehlentwicklung erkannt wurde). Nichtsdestotrotz blieben Hebammen, die Schwangere auch in ländlichen Gebieten zu Hause aufsuchten, notwendig und geschätzt. Der Koffer enthält zum Beispiel Operationsbesteck. Es zeigt, dass eine Hebamme auch kleine chirurgische Eingriffe vornahm. Außerdem verabreichte sie Medikamente. Im Koffer findet man geburtseinleitende, schmerzstillende, krampflösende, kreislaufstabilisierende und antibiotische Präparate. Nicht zuletzt enthält er ein Hebammen-Tagebuch zur Dokumentation der Geburt und Meldezettel für das Standesamt.

Flucht und Vertreibung nach 1945
Die äußere, stark in Mitleidenschaft gezogene Erscheinung des Koffers verkörpert die schwierigen Umstände der Flucht und Vertreibung der ostdeutschen Bevölkerung am Ende des Zweiten Weltkriegs. Einerseits näherten sich Bodentruppen der Roten Armee, die zahllose Gräueltaten an der Zivilbevölkerung verübten, andererseits waren Deutsche vielerorts nach Jahren der NS-Gewaltherrschaft nicht mehr erwünscht. 12 bis 14 Millionen Menschen mussten zwischen Oktober 1944 und 1947 ihre Heimat verlassen und Richtung Westen ziehen. Die Vertreibung verursachte ca. 600.000 Todesopfer und noch mehr Vermisstenfälle.

Weniger
Titel
Hebammenkoffer der Elise Dudek
Allgemeine Bezeichnung
Gerät zur Geburtshilfe
Inventarnummer
WI2238,0
Sammlung
Wissenschftl. Instr.-Waffen-Pharmazie
Anzahl der Teile
73
Herstellungsdatum
1945
Maße
H. 18; B. 51; T. 32 cm
Beschreibung
Koffer mit umfangreichem Inhalt an Hebammen-Utensilien, einschließlich Arzneimitteln zur Geburtseinleitung, Schmerzmittel etc., die den geburtsmedizinischen Stand um 1945 dokumentieren. Der Koffer stammt aus dem Besitz der Hebamme Elisabeth (gen. Elise) Dudek, die den Koffer im Jahr 1945 im oberschlesischen Gieschewald (pol. Giszowiec) bei Kattowitz einsetzte. Nach ihrer im April 1945 erfolgten Flucht in den Westen war Frau Dudek weiterhin beruflich in der klinischen Krankenpflege tätig, allerdings nicht mehr als Hebamme, so dass der Kofferinhalt präzise den Professionsstand des ländlichen Hebammenwesens im Spätwinter 1944/45 materialisiert. Die äußere, stark in Mitleidenschaft gezogene Erscheinung des Koffers verkörpert zudem die schwierigen Umstände der seinerzeitigen Flucht und Vertreibung der ostdeutschen Bevölkerung in den Monaten ums Ende des Zweiten Weltkriegs. Frau Dudek überließ im Rentenalter ihren Hebammenkoffer dem letzten, 1945 von ihr zur Welt gebrachten Kind, dem Gieschwalder Rainer Kutscha, jetzt in Erlangen lebend, der den Koffer im April 2018 dem GNM als Schenkung überließ. Teilobjekte 2-43 Geräte und Utensilien zur Geburtshilfe Teilobjekte 44-54: Arzneimittel (Tabletten/Kapseln/Zäpfchen/Salben etc.) Teilobjekte 55-72: Arzneimittel zur Injektion/Infusion Teilobjekt 73: Tagebuch einer Hebamme
Literatur
Willibald Pschyrembel: Praktische Geburtshilfe. Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte. Erste Auflage, Berlin 1947