Titel
Der verlorene Sohn bei den Dirnen
Allgemeine Bezeichnung
Gemälde
Inventarnummer
Gm1182
Sammlung
Gemälde bis 1800
Anzahl der Teile
1
Hersteller
Liss, Johann (um 1597-1631)
Herstellungsdatum
um 1622/23
Herstellungsort
Standort
Dauerausstellung Renaissance, Barock, Aufklärung
Maße
H. 160,5 cm; B. 240 cm
Material und Technik
Öl auf Leinwand
Darstellung
Auf dem von R. Klessmann (1992, S. 30) genannten Emblem aus Amsterdam von 1614 sind unter dem Mann, der sein Glas aus der Weinkann nachfüllt, Spielkarten und Würfel abgebildet. Das Sinnbild (Hollstein 575) von Caes Jansz. Visscher (1586/87-1652) "weist auf die Gefahren, die von Spielen und trinken ausgehen, eine Mahnung, die der Thematik des 'Verlorenen Sohnes' durchaus entspricht. Auch auf dem Gemälde sind auf dem Boden verstreute Spielkarten zu erkennen" (Klessmann 1992, S. 30). Mündlich machte Klessmann Tacke darauf aufmerksam, dass auch das Thema der Fünf Sinne im Bild dargestellt würde (In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Vermeers 'Kupplerin' in Dresden (Inv.Nr. 1335), welches vom Sujet mit dem Nürnberger Bild vergleichbar ist, bei seinem ersten quellenmäßigen Nachweis "De Vyf Sinnen" betitelt wurde. Siehe dazu Mayer-Meintschel 1986, S. 7-18, bes. S. 10); vielleicht wird man zu einer Umbenennung des Bildtitels kommen müssen. Mit Sandrart (1606-1688) - 1675: "Mehr hat er [Liss] schöne Conversationen geharnischter Soldaten mit Venetianischen Courtisanen, da unter lieblichen Seiten- und Kartenspiel bey einem ergötzlichen Trunk jeder nach seinem Gefallen conversirt und im Luder lebt, worinnen die Vielfältigkeit der Affecten, Gebärden und Begierden eines jeden so vernünftig ausgebildet sind, dass diese Werke nicht allein hochgepriesen, sondern auch von den Kunstliebhabern um großen Wehrt erkauffet worden"; Sandrart/Peltzer 1929, S. 187 f. - haben wir einen sehr frühen Beleg dafür, dass Liss mehrere eigenhändige Variationen des Sujets herstellte oder durch Werkstattmitglieder herstellen ließ. Es ist nicht zu entscheiden, auf welche Varianten sich die Stelle bezieht; Sandrart/Peltzer 1925, S. 402, Anm. 843, will sie für das Kasseler Bild in Anspruch nehmen; Joachim von Sandrart beschreibt eine Fassung, welche er vermutlich 1629 in Venedig, wo er bei Johann Liss wohnte, gesehen hat.
Zustandsbeschreibung
siehe Andreas Tacke: Die Gemälde des 17. Jahrhunderts im Germanischen Nationalmuseum. Bestandskatalog. Mainz 1995, S. 165.
Beziehung zu anderen Objekten
; Das Gemälde setzt die Kunst Caravaggios (1571-1610) voraus, weshalb es Liss' vermutlich während seines römischen Aufenthalts in der Zeit um 1623-1626 gemalt hat. Entweder ist das Bild in Rom oder nach seiner Rückkehr nach Venedig - dafür spräche Sandrarts Formulierung "Venetianische Courtisanen" (Sandrart/Peltzer, 1929, S. 187f) - entstanden. -- Rüdiger Klessmann (1992, S. 30) machte außerdem auf ein 1614 in Amsterdam publizierte Emblem aufmerksam, welches unter dem Motto "Pessima placent pluribus" einen Mann zeigt, der während des Trinkens sein Glas aus der Weinkanne nachfüllt. -- Eduard A. Safarik (1975) macht allgemein auf motivische Zusammenhänge zwischen dem Gelage und Bildern von Domenico Fetti (um 1589-1624) aufmerksam. - Nach Klessmann (1999) ist das Gemälde 1622/23 in Rom entstanden.; Thematisch in Zusammenhang steht eine eigenhändige Zeichnung von Liss im Museum Bredius in Den Haag (Inv.Nr. T 83-1946), die ebenfalls ein Soldatengelage zeigt.; Kopien: Eine heute noch bekannte Kopie (Werkstatt?) des 17. Jahrhunderts befindet sich in den Staatlichen Kunstsammlungen Schloss Wilhelmshöhe in Kassel (Inv.Nr. 187; vgl. Tacke 1995, Abb. 118); Öl auf Leinwand, 164,5 x 242 cm. Das Gemälde weist keine Pentimenti auf, so dass es sich bei ihm nach Michael Graf von der Goltz (1992) "um eine flotte, nahezu zeitgenössische, venezianische Kopie handelt" (M. Graf von der Goltz, 1992, mschr. S. 78). --- Wieviele unbekannte, verschollene Kopien es gibt/gab, ist unbekannt. Von solchen abgesehen, kann trotzdem bis zur Inventarisierung des Kasseler Bildes (1749) bei den frühen Erwähnungen entsprechender Gemälde nicht immer mit Sicherheit gesagt werden, auf welches Bild, das Kasseler oder das des GNM, sich die Angaben beziehen. --- Nach dem Stich von Falck gibt es zahlreiche Kopien, die man - folgt man der von Tacke vorgetragenen Auffassung, dass der Falck-Stich auf das Gemälde des GNM zurückgeht - als "Enkelbilder" ansehen kann: Museum der bildenden Künste zu Leipzig (Inv.-Nr. 790) von Egbert von Heemskerck (1610-1680), Öl auf Leinwand, 45,8 x 58,3 cm; 1970 in der Galerie Hoogsteder, den Haag (Öl auf Holz, 43,5 x 36 cm; Abb. in: Weltkunst 40, 1. August 1970, S. 929); in einer Hagener Privatsammlung (Öl auf Leinwand, ca. 28 x 40,5 cm; Unterlagen mit Abb. im GNM). Auf der Auktion bei Grauoe und Ball (Berlin) vom 23.-24.6.1933 wurde eine 36 x 45 cm große Kopie ("Bez. J. van Lys fec.") versteigert (= Witt Library, London); weitere Kopien nach dem Stich von Falck im Kunsthandel der 1930er und 1940er Jahre nennt Graf von der Goltz (1992, mschr. S. 82-86). Der Kat. 1934 führt noch "alte Kopien in der Villa Petroja bei Florenz, in der Pinakothek zu Bologna (Nr. 708) und in Münchner Privatbesitz" an.; Vor- und Nachzeichnungen: Kurt Steinbach (1940, S. 66 f.) nannte fünf Zeichnungen, die im Zusammenhang mit dem "Gelage von Soldaten und Dirnen" stehen: dabei hielt er die Fassung der Uffizien (vgl. Tacke, Abb. 116) für die authentische: Federzeichnung in brauner Tinte über brauner Tintenlavierung auf rosa laviertem Papier, 23,1 x 33,9 cm; Gabinetto dei disegni degli Uffizi (Schenkung Santarelli, 1866), Florenz. Lisa Oehler (1962) untersuchte die von Steinbart genannten Zeichnungen und will die Leidener Studie (Prentenkabinet der Rijksuniversiteit, Inv.Nr. PK 2186) vor der in den Uffizien genannten wissen und in den anderen drei späteren Wiederholungen nach diesen beiden Zeichnungen (nicht nach den Gemälden, da die Zeichnung das Federbarett zeigt, welches zum Helm wurde; Pentimenti) durch andere Hände.; Graphiken: Wahrscheinlich noch in Italien hat eine der beiden heute noch bekannten Fassungen, der in Kassel und der in Nürnberg, Mathäus Strasser (gest. 1659) gesehen, der Teile der Komposition für seine Zeichnung im Frankfurter Städelschen Kunstinstitut (Inv.Nr. 701) übernahm. (Schilling 1973, S. 90, Nr. 545, Abb. Tafel 101, folgt der üblichen Auffassung, das Kasseler Bild sei das Original und will demnach Teile der Zeichnungen dem Kasseler Bild entlehnt wissen). Die Zeichnung ist vom Künstler mit 1642 datiert und mit einem in italienischer Sprache verfaßten Sinnspruch versehen. -- In der Amsterdamer Sammlung Gerrit Reynst sah der Maler Simon de Vos (1603-1676) das Bild und übernahm Teile der Komposition für seine 'Musizierende Gesellschaft' von 1646 im Wiener Schottenstift. (Interessant ist, daß der Maler auch die Budapester Bauernhochzeit von Liss, die Sandrart ebenfalls beschrieb, seinem Bild im Warschauer Nationalmuseum (früher in Breslau) zugrunde legte; siehe Michalkowa, 1977, S. 9 f., Abb. 10 und Abb. 11.) --- Jeremias Falck (um 1609/10-1677) fertigte nach dem Bild der Sammlung Reynst in Amsterdam einen seitenverkehrte Stich (24,8 x 37,5 cm) um oder nach 1656 an (Hollstein 160). Dieser gehört zu 34 Blättern eines illustrierten Kataloges der Sammlung Reynst: "VARIARVM / IMAGINVM / A / CELEBERRIMIS ARTIFICIBVS / PICTARVM /CAELATURAE / ELEGANTISSIMIS TABVLIS / REPRAESENTATAE / (...). Amsterdam o.J. (Logan 1979, S. 39, Anm. 4, weist fünf Aufbewahrungsorte nach, darunter Dresden und Göttingen; vgl. ebenda S. 37-45. - Zum Stecher siehe J. C. Block: Jeremias Falck. Sein Leben und seine Werke (...). Danzig-Leipzig-Wien 1890, S. 118f., Nr. 160.) Lt. Tacke ist der Stich von Falck vermutlich - entgegen der einhelligen Meinung in der unten genannten Literatur - nach ddem Gemälde des GNM entstanden: Hier das zerbrochene Glas rechts auf dem Boden (heute schlecht erkennbar), welches auf dem Stich, aber nicht in Kassel zu sehen ist; in Kassel liegt links auf dem Boden ein Stock, und von dem Deckenleuchter hängt ein Seil herab; beide Details sind weder auf dem Stich noch auf dem Nürnberger Bild dargestellt. --- Nach dem Gemälde (vermutlich nicht nach dem Falck-Stich, da seitenrichtig [?]) fertigte 1670 Johannes van Somer (ca. 1645-nach 1699) zwei (fast quadratische) Schabkunstblätter von je einer Hälfte der Komposition an, die er zum Teil veränderte und ergänzte (Hollstein 43 und 44). Wie auf dem Gemälde ist rechts auf dem Boden ein zerbrochenes Glas dargestellt.;
Beschreibung
Um den Tisch einer Wirtsstube sitzen Soldaten und Dirnen. Mittelfigur ein Soldat, der sich aus einer Flasche Wein einschenkt. Links davon ein anderer mit Barett, sich nach vorn umschauend. Weiter links ein Paar, aus dem Dunkel kommend zwei alte Leute. Rechts zwei weitere Paare und zwei Mägde mit Platte und Flasche.
Vitrinentext
In seinem berühmtesten Gemälde zeigt Liss eine im 17. Jh. beliebte Szene aus dem sündhaften Leben des verlorenen Sohnes. Dieser sitzt in einem landsknechtsartigen Phantasiekostüm inmitten des ausgelassenen Treibens und gießt Wein in ein Glas. Die übrigen, sich Wein und Weib hingebenden Begleiter verkörpern wohl die fünf, durch Genuss betäubten Sinne. Nach Sandrarts Überlieferung kannte Liss solche Gelage aus eigener Erfahrung. In Lichtführung und Typus des römischen Soldatenbildes lehnte er sich an Caravaggio an.
The Prodigal Son with the Prostitutes. Oil on canvas. In his most famous painting Liss shows a scene, popular in the 17 c., from the sinful life of the prodigal son. Attired in a fanciful lansquenet-like costume, he is seen amidst a boisterous group of revelers, pouring wine into a glass. His other companions, indulging in women and wine, probably embody the five senses numbed by pleasure. According to Sandrart Liss was very familiar with such carousing. The handling of the light and the "Roman-soldier" image is borrowed from Caravaggio.
The Prodigal Son with the Prostitutes. Oil on canvas. In his most famous painting Liss shows a scene, popular in the 17 c., from the sinful life of the prodigal son. Attired in a fanciful lansquenet-like costume, he is seen amidst a boisterous group of revelers, pouring wine into a glass. His other companions, indulging in women and wine, probably embody the five senses numbed by pleasure. According to Sandrart Liss was very familiar with such carousing. The handling of the light and the "Roman-soldier" image is borrowed from Caravaggio.
Literatur
Joachim von Sandrarts Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste von 1675. Leben der berühmten Maler, Bildhauer und Baumeister (Teil I.). (Teil 2: Aus dem zweiten Hauptteil der Teutschen Academie von 1679). Hrsg. und kommentiert von A. R. Peltzer. Teil 1. München 1925, S. 187--188 und S. 402.
Hoet, Gerard: Catalogus of Naamlyst van Schilderyn met derzelver pryzen (...). Bd. 1, 's-Gravenhage 1752, S. 72 (Verkauf der Sammlung Pieter Six).
Bredius, Abraham: Seltene Niederländer des 17. Jahrhunderts. In: Kunstchronik, 20, 1884-85, Sp. 197--201, bes. Sp. 197 (Amsterdamer Versteigerung vom 14.10.1884, das Bild wurde zurückgezogen; zum Zustand wird gesagt, dass es in den Schatten recht schwarz geworden und etwas verputzt war).
Mireur, Hippolyte: Dictionnaire des ventes d'art faites en France et à l'Etranger pendant les XVIIIme et XIXme siècles. Bd. 4, Paris 1911, S. 387 (Nachweis der Versteigerung 1890).
Fuchs: Aus dem 'Itinerarium' des Christian Knorr von Rosenroth. Met eene Ineiding en eene hollandsche Vertraling van den latijnschen Tekst door Joh. C. Breen. In: Veertiende Jaarboek von het genootschap Amstelodamum, 14, 1916, S. 201--256, bes. 239 und S. 240 (een taveerne).
Oldenburg, Rudolf: Neues über Jan Lys. Amtliche Berichte aus den Königl. Kunstsammlungen, 39, 1917-18, S. 113--122, bes. Sp. 117, Anm. 1 (Kopie nach Kassel bei Prof. Marr in München).
Oldenburg, Rudolf: Sei e settecento straniero, Jan Lys (...) (= Biblioteca d'arte illustrata, Serie 1 Bd. 7) Rom 1921, S. 9 (Kassel), S. 16 (Sammlung Marr).
Katalog der Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts im Germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg. Bearbeitet von Eberhard Lutze. Nürnberg 1934, S. 42--43 (Johann Liss, Gelage von Soldaten und Dirnen).
Steinbach, Kurt: Johann Liss. Der Maler aus Holstein (Denkmäler Deutscher Kunst). Berlin 1940, S. 65--82 (sieht in der Kasseler Fassung das stärkere Bild), S. 162, Abb. 26.
Oehler, Lisa: Unbekannte Vorzeichnungen zu einigen Gemälden der Kasseler Galerie. In: Kunst in Hessen und am Mittelrhein, 1-2, 1961-1962, S. 104--116, bes. S. 104--107, Abb. 1--7.
Schilling, Edmund: Katalog der deutschen Zeichnungen. Alte Meister. Bd. 1, München 1973, S. 90, Nr. 545, Abb. Taf. 101.
Safarik, Eduard A.: La mostra di Johann Liss. In: Arte Veneta, 29, 1975, S. 197--306, bes. S. 300 und S. 302--303 (zu Kassel: "Certamente copia molto sommaria, di qualità mediocre, dal colore grasso e smaltato e con carenze nella modellazione dell'incarnato").
Michalkowa, Janina: Les Tableaux de Simon de Vos dans les Collections Polonaises. In: Bulletin du Musée National de Varsovie, 18, 1977, Nr. 1, S. 1--21, bes. S. 17 (vgl. das Bild im Schottenstift mit Gm 1182).
Logan, Anne-Marie S.: The 'Cabinet' of the brothers Gerard and Jan Reynst (Koninklijke Nederlandse Akademie van Wetenschappen, Verhandelingen Afdeling Letterkunde, N. F. 99).
Mayer-Meintschel, Annaliese: Vermeers Kupplerin. In: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, 18, 1986, S. 7--18, bes. S. 10.
Goltz, Michael Graf von der: Probleme um Johann Liss am Beispiel des Gemäldes 'Gelage von Soldaten und Dirnen', Nürnberg. Magisterarbeit masch. Göttingen 1992.
Klessmann, Rüdiger: Gartenfeste und Gelage. Ein bevorzugtes Bildthema von Johann Liss. In: Kunst und Antiquitäten, Heft 9, 1992, S. 27--31, bes. S. 30--31, Abb. 6.
Tacke, Andreas: Die Gemälde des 17. Jahrhunderts im Germanischen Nationalmuseum. Bestandskatalog. Mainz 1995, S. 165--170, Nr. 78 mit Abb. und mit weiter, älterer Literatur.
Klessmann, Rüdiger: Johann Liss. Eine Monographie mit kritischem Oeuvrekatalog. Gent 1999, S. 50--60 und Nr. 9, S. 132--138, Taf. 9, 10.
Faszination Meisterwerk. Dürer, Rembrandt, Riemenschneider. Ausst.Kat. des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg. Nürnberg 2004, S. 174--176.
Renaissance. Barock. Aufklärung. Kunst und Kultur vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Hrsg. von Daniel Hess und Dagmar Hirschfelder. (Die Schausammlungen des Germanischen Nationalmuseums, Band 3) Nürnberg 2010, S. 279--280, Abb. 243.
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