Ideal und Wahrheit
Ernst und mächtig – so tritt Kaiser Karl der Große (747/8–814) in Albrecht Dürers Bildnis auf. Deswegen wurde es schon oft mit Darstellungen Gottvaters verglichen. Bis heute ist die Vorstellung Kaiser Karls des Großen von diesem Gemälde geprägt. Jedoch heißt es in der Inschrift auf dem Rahmen, dass das Bild der „wahren Gestalt“ Karls nur ähnlich sei. Von dessen Tod bis zur Entstehung von Dürers Werk vergingen fast 700 Jahre. RealitWeiterlesen
Ideal und Wahrheit
Ernst und mächtig – so tritt Kaiser Karl der Große (747/8–814) in Albrecht Dürers Bildnis auf. Deswegen wurde es schon oft mit Darstellungen Gottvaters verglichen. Bis heute ist die Vorstellung Kaiser Karls des Großen von diesem Gemälde geprägt. Jedoch heißt es in der Inschrift auf dem Rahmen, dass das Bild der „wahren Gestalt“ Karls nur ähnlich sei. Von dessen Tod bis zur Entstehung von Dürers Werk vergingen fast 700 Jahre. Realitätsgetreue zeitgenössische Porträts Karls des Großen, die Dürer als Vorlage hätten dienen können, gab es nicht.
Der Gründervater des Reichs
Karl der Große trägt die wichtigsten Krönungsinsignien an seinem Körper – die Krone des Heiligen Römischen Reichs, den Krönungsmantel, das Zeremonienschwert, den Reichsapfel und weitere mehr. Heute weiß man, dass alle erst nach seinem Tod entstanden. Ob dies den Zeitgenossen Dürers bewusst war, ist unklar und wohl auch nebensächlich: Es ging vielmehr darum, Karl den Großen als Gründervater des Heiligen Römischen Reichs zu inszenieren und durch die Herrschaftszeichen eine materielle Verbindung zu ihm herzustellen. Alle dargestellten Krönungsinsignien wurden zu diesem Zeitpunkt in Nürnberg aufbewahrt. Da Karl der Große heiliggesprochen war, galten die Objekte als Berührungsreliquien.
Verehrung des Kaisers
Als Dürer vom Rat der Stadt Nürnberg den Auftrag erhielt, dieses Bild und sein Gegenstück (Gm168), das Bildnis des Kaisers Sigismund, zu malen, sollten die beiden als Türen eines Wandschranks bzw. Schreins im Schopperhaus am Nürnberger Hauptmarkt dienen. Für eine Nacht im Jahr befanden sich darin die Reichskleinodien, bestehend aus Krönungsinsignien und den wichtigsten Reliquien des Reichs, bevor sie bei der Heiltumsweisung auf dem Hauptmarkt präsentiert wurden. Die Reichskleinodien, Zeichen der Macht des Heiligen Römischen Reichs, wurden von 1424 bis 1796 in Nürnberg aufbewahrt, was die Stadt immens aufwertete. Die meiste Zeit waren sie verschlossen im Heiltumsschrein (KG187), welcher sich in der Kirche des Heilig-Geist-Spitals befand. Nur während der Heiltumsweisung durfte die Bevölkerung die Reichskleinodien sehen. Gleichzeitig konnten die Menschen einen Ablass erwerben und so ihre Zeit im Fegefeuer verkürzen. Mit der Einführung der Reformation in Nürnberg endete diese Praxis. Damit verloren auch die Kaiserbilder ihre ursprüngliche Funktion und wurden ab 1526 im Rathaus ausgestellt. Dort konnten sie nur wichtige Gäste sehen. Die Stadt Nürnberg ließ in Einzelfällen Kopien der Gemälde anfertigen, die sie zu diplomatischen Anlässen verschenkte.
Verbleib in Nürnberg
Eigentlich hatten sich um das Jahr 1600 der habsburgische Kaiser Rudolf II. und der Wittelsbacher Kurfürst Maximilian I. von Bayern zum Ziel gesetzt, so viele Werke Dürers wie möglich zu kaufen. Dem von ihnen ausgeübten politischen Druck ist es geschuldet, dass fast alle Werke von Dürer aus Nürnberg verschwanden. In Verhandlungen mit Rudolf II. kamen die Kaiserbilder ins Spiel, aber sie „wurden nit begert, weil schlechte Kunst daran“. Aufgrund dieses Urteils befinden sich die Kaiserbildnisse bis heute im Besitz des ursprünglichen Auftraggebers, der Stadt Nürnberg.